Blog: Agora
Agora, wörtlich Marktplatz, bezeichnete in der griechischen Polis den Ort, an dem sich die freien Bürger versammelten. So wie die Agora dem öffentlichen Diskurs diente, möchte Dr. Hubert Koch mit diesem Blog seinen Beitrag zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskussionen leisten.
Arbeitsmoral im Sinkflug
Deutschland, das Land der Selbstverwirklicher und Faulenzer
Die Arbeitsmotivation nimmt bei vielen Deutschen in den letzten Jahren dramatisch ab. In Zeiten des Führungskräftemangels und der drohenden Wirtschaftskrise ist das Gift für den Standort Deutschland. Doch statt Klartext zu reden, packen die verantwortlichen Politiker das Wahlvolk lieber in Watte. Statt Führung zu zeigen, werden die Bürger eingelullt.
GASTBEITRAG VON HUBERT KOCH an 26.Oktober 2022
Offener Brief an Bischof Dr. Felix Genn, Münster
In einem offenen Brief an den Bischof von Münster, Dr. Felix Genn, beklagt Dr. Hubert Koch ein Demokratiedefizit in der katholischen Kirche. Er macht dies an den Anfang November durchgeführten Wahlenn zu den Kirchenvorständen und Pfarrei retten fest. Im Text heißt es:
Ich frage mich, warum man den Kandidaten nicht, wie bei Kandidaturen zu politischen Gremien, aber auch zu Ämtern in Verbänden üblich, Gelegenheit gegeben hat, sich den Gemeinden aktiv vorzustellen, sowohl persönlich als auch bezüglich ihrer inhaltlichen Vorstellungen für die kommende Wahlperiode. Dies hätte schriftlich erfolgen können, etwa in Beilagen zu den Pfarr-briefen, alternativ ebenso persönlich vor den Gottesdiensten. Auch Veranstaltungen in den Pfarrsälen, bei denen die Gemeindemitglieder zusätzlich Gelegenheit gehabt hätten, die Kandidierenden zu befragen, wären aus meiner Sicht möglich gewesen.
Ein solches Vorgehen hätte nicht nur die Qualität der Wahlentscheidungen verbessert und die Legitimität der Gremien gestärkt, sondern auch Impulse für die Diskussionen in den Gemeinden gegeben. Damit wären die Veränderungsdiskussionen, wie sie beispielsweise derzeit beim Synodalen Weg geführt werden, an die Basis getragen worden. Wenn die Gemeinden das Fundament der Kirche sind, gehören die Reformdiskussionen genau da hin.
Als Mitglied im Bund Katholischer Unternehmer und langjähriger Repräsentant vieler Verbände gegenüber der Politik in Berlin und Brüssel ist es meine feste Überzeugung, dass unsere Kirche die vielfältigen existenziellen Schwierigkeiten, in denen sie sich befindet, nur dann überwinden und neue gesellschaftliche Akzeptanz finden kann, wenn sie sich zunächst für die Gläubigen öffnet, die Basis in den Gemeinden stärker beteiligt und „mehr Demokratie wagt“.
Das Lobbygespräch. Wichtigstes Instrument zur Durchsetzung politischer Ziele
Das persönliche Gespräch mit politischen Entscheidern ist und bleibt auch im Zeitalter der sogenannten sozialen Medien das wichtigste Instrument zur Durchsetzung politischer Ziele. Dabei gilt der Satz des deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer (1788-1860): „Wer klug ist, wird im Gespräch weniger an das denken, worüber er spricht, als an den, mit dem er spricht.“ Deshalb sind Lobbygespräche immer individuell. Dies gilt auch, weil bei Politikern Person und Sache verschmelzen. Deshalb muss jedes Gespräch individuell geplant und vorbereitet werden, zugeschnitten auf den jeweiligen Gesprächspartner.
Ich habe zum Thema aktuell einen Aufsatz geschrieben in „Verbändereport, 25. Jahrgang. Ausgabe 4/September 2021 Seite 18-23.
Pandemie und Klimawandel:
Die Covid 19 Pandemie und der Klimawandel stellen die Menschheit vor existenzielle Herausforderungen. Zu meistern sind beide nur mit weitreichenden Verhaltensänderungen vieler, am besten aller Menschen. Diese Veränderungen lange gewohnter Verhaltensweisen sind aber nur notwendige, in keinem Fall hinreichende Bedingungen. Wie die Impfstoffentwicklung bei Covid 19 braucht es auch für eine erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels zwingend technologische Innovationen. Dies belegen vielfältige Erfahrungen der Menschheitsgeschichte.
Es ist Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen schaffen, die Kreativität und Erfindungsreichtum fördern. Gleichzeitig muss sie kreativen Köpfen Anreize bieten, sich um Innovationen zu bemühen. Falsch wäre es, wenn sich Politik darauf beschränkte, Verhaltensvorgaben zu machen.
Lebendige Demokratie oder inhaltsloser Machtkampf?
Die letzten Wochen und Tage boten Anschauungsunterricht über die Mechanismen von Politik, wie man sie so komprimiert selten findet.
Zunächst verkehrte Welt:
Bündnis 90/Die Grünen, für die nicht nur Diskussionen, sondern auch erbitterter innerparteilicher Streit in der Sache und um Posten zur DNA zu gehören schienen, überlassen die Frage der Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl und die Nominierung der Kanzlerkandidatin diskussions- und widerspruchslos den beiden Parteivorsitzenden. Und die wiederum präsentieren der erstaunten Öffentlichkeit in einer an Harmonie nicht zu überbietenden Kurzveranstaltung einvernehmlich ihren Lösungsvorschlag. Kritische Stimmen aus der Partei fehlen bislang vollständig.
Die CDU dagegen, lange als Kanzlerwahlverein bezeichnet, braucht zuerst Monate, um einen neuen Parteivorsitzenden zu wählen; und lässt dann einen erbitterten Streit auf offener Bühne über den Kanzlerkandidaten zu; wohlwissend, dass innerparteiliche Kontroversen von den Wählern nicht geschätzt und mit Stimmenentzug geahndet werden.
Was im Vergleich von Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU vordergründig erstaunlich wirkt, ist bei näherer Betrachtung Ausdruck von gelebter bzw. fehlender Autorität. Während Robert Habeck und Annalena Baerbock es in den letzten drei Jahren geschafft haben, ihre Partei sowohl inhaltlich und strategisch als auch durch ihren Führungsstil kommunikativ (nach innen und nach außen) neu auszurichten, fehlt es in der CDU/CSU nach der langen Kanzlerschaft Angela Merkels erkennbar an Visionen und Programmatik und an Persönlichkeiten, die aus inhaltlicher Positionierung und Zukunftsorientierung Autorität abzuleiten in der Lage sind. Deshalb ging es im Machtkampf zwischen Armin Laschet und Markus Söder an keiner Stelle um eine inhaltliche Neuausrichtung der Partei. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Wettstreit im Hochsauerland Kreis um die Direktkandidatur für die Wahl am 26. September zwischen Patrick Sensburg und Friedrich Merz. Die Ansprüche auf die Nominierung wurden von allen Kandidaten ausschließlich aus formalen Gründen abgeleitet.
Streit um Inhalte und Positionen gehört zum Wesenskern der Parlamentarischen Demokratie. Es stärkt diese, wenn darauf aufbauend um Ämter gestritten wird. Jedoch wird die Parlamentarische Demokratie geschwächt, wenn es im Wettbewerb um Ämter nur um diese geht und damit keine politische Agenda verknüpft ist. Damit wird Vertrauen in der Gesellschaft zerstört.
In der CDU besteht die dringendste Aufgabe für den Parteivorsitzenden Armin Laschet und Generalsekretär Paul Ziemiak jetzt darin, politische Ziele zu formulieren und eine Programmatik zu entwickeln, wie die Partei die dringendsten Probleme lösen und wohin sie das Land führen will. Nur damit lassen sich innerparteilich Kräfte mobilisieren und bei der Bundestagswahl Stimmen gewinnen.
Lobbyismus und Politik: Von Äpfeln und Birnen und Pflaumen
Die Einigung der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD auf die Einführung eines Lobbyregisters erschien zunächst positiv, wobei nicht alle Regelungen im Detail über jeden Zweifel erhaben sind. Durch die aktuellen Entwicklungen um die Spitzenkandidatur von Philipp Amthor für die CDU in Mecklenburg-Vorpommern und insbesondere die Umstände bei der Beschaffung von FFP 2 -Masken ist jedoch eine heillose Verwirrung entstanden. Diese geht über fehlende sprachliche Präzision weit hinaus. Dies gilt außerhalb der Politik, aber auch innerhalb. Dabei nimmt nicht nur unsere Profession, sondern die Demokratie insgesamt Schaden.
Deshalb tut eine Präzisierung der Begrifflichkeiten für den demokratischen Diskurs not.
Beim Lobbyismus handelt es sich um die legitime und legale Vertretung von (partikularen) Interessen gegenüber politischen Entscheidern im Rahmen von Gesetzgebungsprozessen. Dies dient der Qualität gesetzgeberischen Handelns. Wie sonst sollen Politiker bei zunehmend komplexer werdenden Fragestellungen sachgerecht entscheiden, wenn nicht durch die Einbeziehung von Informationen und Folgeabschätzungen, die ihnen durch Betroffene und Interessengruppen vorgetragen werden. Lobbyismus, wie er von Umwelt- und Naturschutzverbänden, Berufsgruppen, Unternehmen, Kirchen, Gebietskörperschaften, Wirtschaftsverbänden betrieben wird, nützt damit der Demokratie.
Etwas ganz anderes ist die Interessenvertretung, beispielsweise für Unternehmen, durch gewählte Abgeordnete. Hier gilt das Bibelwort (Matthäus 6:24) „Niemand kann zwei Herren dienen“. Stabilisiert transparente Interessenvertretung, wie oben beschrieben, die Demokratie, wird diese zerstört, wenn Abgeordnete sich als Lobbyisten betätigen. Es widerspricht sowohl dem Buchstaben des Abgeordnetengesetzes (siehe insbesondere § 44) wie dem Geist des freien Mandats, wenn Abgeordnete ihre privilegierte Stellung nutzen, um Partikularinteressen zu vertreten. In diese Kategorie gehört der „Fall Amthor“, ist aber keineswegs darauf beschränkt. Ich habe in meiner Berufspraxis häufig Abgeordnete getroffen, die neben ihrem Mandat Lobbymandate ausgeübt haben, beispielsweise als Präsidenten (Innerhalb) oder als Beauftragte (außerhalb) von Verbänden Um es klar zu sagen: Abgeordnete als Lobbyisten untergraben die Demokratie und zerstören das Vertrauen in die staatlichen Institutionen
Gänzlich inakzeptabel ist es, wenn Abgeordnete ihre Stellung missbrauchen, um eigenwirtschaftliche und finanzielle Interessen zu verfolgen. Unabhängig von einer juristischen Bewertung im Detail sind also die Fälle Nüßlein und Löbel, die in einer Krise größten Ausmaßes an der Vermittlung von Schutzmasken für die Bevölkerung verdient haben, scharf zu verurteilen. Die Reaktionen der Partei -und Fraktionsführungen von CDU und CSU sind deshalb absolut richtig, gehen aber möglicherweise nicht weit genug. Hierüber muss weiter diskutiert werde. Auch können weitere Maßnahmen durch die Verantwortlichen nötig werden.
Um die weitere Diskussion für die Demokratie fruchtbar zu machen und einen sachgerechten öffentlichen Diskurs zu ermöglichen, ist eine Differenzierung zwischen den beschriebenen Sachverhalten zwingend erforderlich, innerhalb der Politik und außerhalb. Insbesondere dem Lobbyregister, das demnächst im Deutschen Bundestag verabschiedet werden soll -und das ich ausdrücklich begrüße - nützt die Vermischung nicht, im Gegenteil. Äpfel sind Äpfel, Birnen sind Birnen und Pflaumen sind Pflaumen.
Lob des Föderalismus, gerade auch in der (Corona) Krise
Der deutsche Föderalismus bewährt sich derzeit außerordentlich. Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund der vielfältig laut erhobenen Forderung nach einheitlichen Coronaschutzbestimmungen in den Ländern. So verständlich diese Forderungen auf den ersten Blick erscheinen mögen, auch, um Akzeptanz und Einhaltung der Regeln in der Bevölkerung zu fördern, so sehr zeigen sich die Vorteile des Föderalismus auf den zweiten Blick.
Durch die Abstimmungsrunden der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder bekommen die politischen Diskussionen und Entscheidungen eine öffentliche Aufmerksamkeit, die undenkbar wäre, läge das Gesetz des Handelns ausschließlich im Bundeskanzleramt. Auch erzwingen die Abstimmungen mit den Ländern eine deutlich stärkere Reflexion der geplanten Maßnahmen und eine erheblich höhere Legitimationspflicht. Landesgesundheitsministerien, Staatskanzleien und Ministerpräsidenten mit Unterstützung durch ihre externen Experten bringen durch Kenntnis der Lage vor Ort und ihre spezifischen Verantwortungen, beispielsweise in der Bildungspolitik, eigene Sachargumente und politische Erwägungen ein. Diese verhindern abgehobene Entscheidungen und Grenzen die Machtbefugnisse der Bundesregierung ein. Dies ist gerade in der Runde in dieser Woche deutlich geworden.
Man stelle sich nur einmal in Umdrehung eines Wortes der Bundeskanzlerin die „Verschärfungsorgien“ vor, die möglich wären, wenn die Bundesregierung nur auf Rat der von ihr selbst eingeladenen und damit ausgewählten Experten alleine das Sagen hätte und Maßnahmen mit der schlichten Begründung, diese seien „alternativlos“, durchsetzen könnte.
Noch stärker allerdings wäre die Legitimation der getroffenen Maßnahmen, wenn bei Beschlüssen, die die Grundrechte der Bürger beschränken, der Deutsche Bundestag und die Parlamente der Länder eingebunden wären.
Impfstoffbeschaffung gegen das Coronavirus: Nationaler Alleingang oder Einbindung in Europäische Solidarität. Fluch und Segen der Deutschen Ratspräsidentschaft
Seit einigen Tagen stehen die Bundesregierung und insbesondere Bundesminister Jens Spahn in der Kritik. Der Vorwurf: der Minister habe auf die nationale Bestellung des (deutschen) Impfstoffs der Firma Biontech für Deutschland verzichtet und die Beschaffung der Europäischen Union überlassen, die für alle Mitgliedstaaten die Lieferverträge gemeinsam verhandeln sollte. Bemerkenswert: als Jens Spahn bei der ersten Coronawelle im Frühjahr ein Ausfuhrverbot für Schutzkittel und Masken verfügte, gab es genau die gegenteilige Kritik und den Vorwurf nationalen Egoismus.
Aus meiner Sicht, basierend auf langjährigen Erfahrungen politischer Arbeit in Brüssel und Straßburg, war die Entscheidung für ein europäisches Beschaffungswesen eindeutig richtig, und zwar aus drei Gründen:
Erstens macht es bei offenen Grenzen (Stichwort Schengen) keinen Sinn, ein Virus national bekämpfen zu wollen. Dies gilt besonders für ein Land mit so vielen Grenzen zu Nachbarstaaten wie Deutschland.
Zweitens hätte sich Deutschland, das in Brüssel gerne als Mustereuropäer auftritt und stets in der Gefahr ist, andere Nationen zu belehren, massive Vorwürfe fehlender Solidarität eingehandelt. Die Meinungsäußerungen aus rechten Kreisen in Italien in den letzten Wochen, etwa nach dem Bericht der Bild-Zeitung im Dezember 2020, Deutschland hätte sich dreißig Millionen zusätzliche Dosen gesichert, sprechen eine deutliche Sprache.
Und drittens wären die Erfolge, die die deutsche Ratspräsidentschaft am Ende des Jahres 2020 erzielt hat und die international hohe Anerkennung gefunden haben, bei einem nationalen Alleingang zur Beschaffung von Impfstoff unmöglich gewesen. Zur Erinnerung: Deutschland hat es geschafft, die Verhandlungen zum siebenjährigen Haushalt der EU und zu den umfangreichen Coronahilfen durch den Europäischen Rat zu bringen und die Verhandlungen zum Investionsabkommen der EU mit China erfolgreich abzuschließen. Auch die Verhandlungen zum Post-Brexit Abkommen hat die deutsche Ratspräsidentschaft und insbesondere Bundeskanzlerin Merkel positiv gefördert.
Ratspräsidentschaften, das lehrt die Erfahrung, sind nur dann erfolgreich, wenn sie sich als ehrlicher Makler bemühen, Interessengegensätze zwischen den Mitgliedstaaten auszugleichen und Kompromisse zu schmieden. Es wäre aus meiner Sicht undenkbar gewesen, die genannten Pakete durchzubringen und insbesondere Ungarn und Polen einzubinden, wäre die Bundesregierung Mitte des Jahres bezüglich der Impfstoffbeschaffung alleine aktiv geworden.